Volksblatt-Interview mit Dekan Dr. Breitenbach
zum Vorschlag "Kirche, kauf das Kino!"

Nachgedacht

Suchet der Stadt Bestes

Die Ausstellung in der Würzburger Residenz macht wieder einmal deutlich: Das Land Ägypten hat nichts von seiner Faszination verloren. An der alten Lebensader des Nils gab es schon im Jahre 2000 v.Chr. eine Kultur, als sich unsere Vorfahren noch mit dem Rücken an den Bäumen schabten. In logistischer Hinsicht sind uns die alten Ägypter übrigens bis heute überlegen: Sie haben erst Straßen angelegt und dann die Pyramiden gebaut. Wir machen es genau umgekehrt: Wir bauen erst ein neues Industriegebiet. Und dann fällt uns ein, dass wir dafür eine Verkehrsanbindung brauchen.

Ausgerechnet ein Obelisk zeigt an, wo sich früher einmal die Stadtmitte von Würzburg befand. Das städtische Leben hat sich freilich längst vom Unteren Markt zum Mainfrankenpark verlagert. Der tägliche Stau auf der neuen Lebensader der B 8 zeigt an, wo sich die Bewohner unserer Stadt heute zuhause fühlen. Während die Ägypter die "Geburt des Individuums" feierten, müssen wir wohl eher den "Tod der Individualität" beklagen. Mit der phantasielosen Aneinanderreihung von Filialen großer Unternehmen wie Kaufhof, McDonalds oder Tchibo sieht die Würzburger Innenstadt heute genauso aus wie die City von Wetzlar, Worms oder Wuppertal. Wer abends oder am Wochenende über die Juliuspromenade bummelt und durch die blinden Scheiben des ehemaligen Bavaria-Kinos blickt, kann nur noch ahnen, wo früher einmal das Leben unserer Stadt pulsierte. Typisch für Würzburg sind auch die ratlosen Touristen, die am Sonntag nach ihrem Besuch in der Residenz ein Café in der Innenstadt suchen.

So bedauerlich diese Entwicklung ist, sie bietet auch eine Chance. Die evangelische Kirche kann jetzt das tun, was ihr 200 Jahre nicht gelungen ist: Sie kann endlich ein Gebäude im Zentrum von Würzburg erwerben. Denn die großen Kirchen St. Stephan und St. Johannis liegen schon immer weit ab vom Schuss und werden von Touristen gar nicht wahrgenommen. Die evangelische Kirche könnte das ehemalige Bavaria-Kino oder ein anderes Gebäude kaufen oder mieten und dort Gottesdienste anbieten. Dann wäre die Kirche auf die Zeit vorbereitet, in der das Leben - wie schon heute in vielen amerikanischen Städten - wieder ins Zentrum von Würzburg zurückkehrt. Die Kirche hat nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Verantwortung: Sie muss dafür sorgen, dass unsere Stadt auch in Zukunft für ihre Bürger bewohnbar bleibt. Damit folgt sie dem Auftrag des Propheten Jeremia: "Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn".


 

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