Immer noch offen

Eine Zwischenbilanz

Wenn heute einer kommt und mich fragt, was ich getan habe in meinem bisherigen Leben, dann bekenne ich ihm, dass ich immer noch keinen Sport treibe und immer noch kein Musikinstrument spiele, dass immer noch kein Handy habe und keinen Laptop, dass ich immer noch nicht auf den Malediven war, nicht einmal auf Mallorca, dass ich immer noch nicht Französisch spreche, geschweige denn Spanisch, dass ich immer noch überall zu spät komme, obwohl ich mich um Pünktlichkeit bemühe, dass sich auf meinem Schreibtisch die Papierstöße stapeln, obwohl ich versuche, jeden Brief sofort zu beantworten.

Wenn heute einer kommt und mich fragt, was ich getan habe in meinem bisherigen Leben, dann bekenne ich ihm, dass immer noch keine Antworten habe auf die Grundfragen des Daseins, dass ich immer noch nicht weiß, woher ich komme und wohin ich gehe, dass ich immer noch nicht weiß, warum ich eigentlich da bin, obwohl ich schon lange da bin, dass ich immer noch nicht weiß, warum Gott soviel Leid zulässt, nicht einmal, warum wir Menschen soviel Leid zulassen, dass ich immer noch bete, ohne zu wissen, ob diese Gebete erhört werden, dass ich die Bibel immer noch nicht ganz durchgelesen habe.

Wenn heute einer kommt und mich fragt, was ich getan habe in meinem bisherigen Leben, dann bekenne ich ihm, dass ich geliebt habe, aber nicht genug, dass ich gekämpft habe, aber mit schwachen Armen, dass ich versucht habe, andere Menschen zu verändern, anstatt an mir selbst zu arbeiten, dass ich von mir selbst überzeugt war und zugleich an meinen Fähigkeiten gezweifelt habe, dass ich oft einsam war inmitten vieler Menschen und oft gelacht habe, obwohl mir zum Weinen zumute war, dass ich an vielen Orten war, aber nirgendwo zu Hause bin, dass ich mich nach dem Tode sehne und ihn zugleich fürchte.

Wenn heute einer kommt und mich fragt, dann bekenne ich ihm, dass ich kein Beispiel geben kann als dieses: Ich bin immer noch offen.