Der Hauptmann von Köpenick
Bilanzdepression und Neuanfang
„Wat haste jemacht mit deim Leben?“. Diese Frage stellt sich Wilhelm Voigt, besser bekannt als „Der Hauptmann von Köpenick“. Wilhelm Voigt war ein aus Ostpreußen stammender Schuhmacher. Er wurde in ganz Deutschland bekannt, weil er am 16. Oktober 1906 als Hauptmann verkleidet mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten in das Rathaus von Köpenick bei Berlin eindrang, den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse raubte. Dieser geniale Coup ging unter dem Begriff „Köpenickiade“ in die deutsche Sprache ein. Er wurde häufig künstlerisch verarbeitet. Besonders bekannt ist das Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ von Carl Zuckmayer und die darauf basierende Verfilmung mit Heinz Rühmann.
Dieser Film aus dem Jahr 1956 ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Militarismus und dem Untertanengeist im Kaiserreich. Wilhelm Voigt ist ein Kleinkrimineller, der immer wieder ins Gefängnis muss, aber nach seiner Entlassung jeweils keine Chance auf eine Resozialisierung hat. Denn ohne Wohnung bekommt er keine Arbeit - und ohne Arbeit keine Wohnung. Was ihm vor allem fehlt, ist ein Pass. Darum bricht er in das Polizeipräsidium von Potsdam ein, um sich selbst einen Pass auszustellen. Dabei wird er prompt erwischt und kommt wieder ins Gefängnis.
In der Gefängnisbibliothek entdeckt er jedoch die preußische Felddienstordnung und lernt diese auswendig. Nach seiner Entlassung erwirbt er bei einem Trödler eine gebrauchte Hauptmannsuniform. Und damit stolziert und salutiert er durch Köpenick. Und siehe da: Die Menschen erweisen ihm plötzlich Respekt. Er erkennt: In Deutschland kann man alles erreichen, wenn man nur die entsprechende Uniform trägt. Wilhelm Voigt nutzt seine neue Autorität, um einige Soldaten, die er durch Zufall auf der Straße trifft, zu rekrutieren und mit ihnen das Rathaus zu besetzen. Anschließlich stellt er sich der Polizei, erzählt zur Erheiterung aller Anwesenden seine Geschichte, wird vom Kaiser begnadigt und erhält endlich den ersehnten Pass.
Die Schlüsselszene des Films spielt jedoch in der Wohnung der Schwester, bei der Wilhelm Voigt vorübergehend Unterschlupf gefunden hat. Er ist allein und sinniert über sein verkorkstes Leben: „Und denn, denn stehste vor Gott, dem Vater. Und der fragt dich ins Jesichte: Willem Voigt, wat haste jemacht mit deim Leben? Da muss ick sagen: Fußmatten, muss ick sagen, die hab ick jeflochten im Jefängnis. Det sachste vor Gott, Mensch. Aber der sacht zu dir: Jeh weck, sacht er. Ausweisung, sacht er. Dafür hab ick dir det Leben nicht jeschenkt, sacht er. Det biste mir schuldig: Wo is et jet? Wat haste jemacht?“.
Jedesmal, wenn ich diese Szene sehe, die Heinz Rühmann so intensiv spielt, steigen mir Tränen in die Augen. Ich würde am liebsten in den Film hineinsteigen, den kleinen Mann umarmen und zu ihm sagen: „Nee Willem Voigt, so ist Gott nicht! Der gibt dir immer wieder deine Chance. Auch wenn dein Leben noch so verkorkst ist. Du kannst immer wieder neu anfangen - auch jetzt. Und ganz davon abgesehen: Fußmatten sind doch gar nicht schlecht! Die werden doch auch gebraucht!“.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Ein Mensch ist mehr als die Summe seiner Leistungen. Und da ist es egal, ob er im Gefängnis Fußmatten geflochten oder ein weltweit tätiges Unternehmen gegründet hat. Ein Mensch hat keinen Wert sondern eine Würde. Und die ist unveräußerlich.
Niko Natzschka
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