Kintsugi

Die Schönheit des Schwachen

„Kintsugi“, das ist Japanisch und heißt auf Deutsch „Goldreparatur“. Kintsugi ist eine traditionelle japanische Methode zur Reparatur von Keramik und Porzellan. Dabei werden die Bruchstücke mit dem sog. Urushilack zusammengeklebt. Dieser Lack enthält ein feines Goldpulver, manchmal auch Silber und Platin. Dadurch entstehen die für Kintsugi typischen Dekorationseffekte.

Im Unterschied zu westlichen Reparaturmethoden werden die Brüche also nicht überdeckt sondern hervorgehoben. Aufgrund der verwendeten Materialien und der damit verbundenen Arbeitsleistung ist eine mit Kintsugi reparierte Schüssel wertvoller ist als eine unversehrte.



Dahinter steckt ein ästhetisches Prinzip, das sich im Japan des 16. Jahrhunderts durchgesetzt hat. Dieses Prinzip trägt den Namen „Wabi Sabi“. „Wabi“ heißt ursprünglich „sich elend, einsam und verloren fühlen“. Wabi steht für das zerbrochene Porzellan und das gescheiterte Leben. Wabi wird jedoch wertvoll durch die Verbindung mit Sabi. Und „Sabi“ heißt „Patina zeigen“, „über Reife verfügen“, „weise werden“.

Das Prinzip „Wabi Sabi“ bedeutet: Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste sondern die verhüllte. Nicht die hoch gewachsene Fichte ist schön sondern die kleine knorrige Kiefer, der mit Moos überzogene Fels, das grasbewachsene Strohdach, der angerostete Teekessel, das gekittete Geschirr. Wabi Sabi steht also für eine Wertschätzung der Fehlerhaftigkeit.

Dieses fernöstliche Prinzip gibt es auch in der westlichen Welt: Das gesäuerte Brot schmeckt in der Regel besser aus das ungesäuerte. Der vergorene Traubensaft ist wertvoller als der unvergorene. Die zerschlissene Jeans ist teurer als die unversehrte. Der Herbst ist bunter als der Frühling.

Das heißt für mich: Als Christ muss ich keine Angst haben vor der eigenen Schwachheit, weil Gottes Kraft - wie Paulus schreibt - in den Schwachen mächtig ist (2. Korinther 12,9). Ich denke dabei an ein Blatt im Herbst, das braun und welk ist, zerschlissen von Wind und Wetter, ein Blatt, das sich mit letzter Kraft an einen Ast klammert.

Dieses Blatt ist für mich nicht hässlich, es ist wunderschön, weil es transparent ist für das Licht der Sonne. Genauso kann mein Leben transparent werden für die Liebe Gottes, wenn ich die Brüche in meiner Biografie nicht verberge, sondern mich offen zu ihnen bekenne.

Niko Natzschka

 

 

Copyright © 1999-2025 Martin-Luther-Kirche, Würzburg. Alle Rechte vorbehalten.
Impressum, Datenschutz, Haftungsausschluß
.