Der
Empfang in Ixcatlán
Macht Reichtum glücklich?
Ein Dorf im Hochland von Mexiko. Etwa 250 km nordöstlich der Hauptstadt.
Zehn Stunden Fahrt durch die Sierra Madre Oriental. Bundesstaat Hidalgo,
Region Huasteca, das Dorf heißt Ixcatlán. Etwa 500 Bewohner stehen am
Eingang, als die Delegation aus Würzburg eintrifft.
Böllerschüsse ertönen. Eine Blaskapelle beginnt zu spielen. Einige Frauen
treten hervor und schmücken die Neuankömmlinge mit selbstgeflochtenen
Blumenkränzen. Unter einem gebogenen Wellblechdach, das auf einigen
Betonsäulen ruht, ist ein großer Tisch aufgebaut. Es gibt ein festliches
Essen: Reisbrei mit Hühnchen, in Bananenblättern gegart. Nur die Besucher
essen, die Dorfbewohner schauen zu. Ich spüre ein schlechtes Gewissen.
Die Blaskapelle spielt erneut. Eine ältere Dame fordert mich zum Tanz
auf. Erst später erfahre ich, dass sie viel jünger ist als ich. Die harte
Arbeit auf dem Land hat ihr Gesicht und ihre Hände gezeichnet. Ich nehme die
Einladung an. Sie tanzt mit Leidenschaft und küsst mich zum Abschluss auf
beide Wangen.
Ihr Mann ist nicht eifersüchtig, sondern lädt mich in sein Haus ein. Das
Haus hat nur einen einzigen Raum. Die Wände bestehen aus Brettern, das Dach
aus Stroh und der Boden aus gestampftem Lehm. Er spricht kein Spanisch,
sondern nur Náhuatl, die Sprache der Azteken. Ein Dolmetscher übersetzt. Der
Mann erzählt, dass er Kaffee anbaut. Ich frage ihn, was er verdient. Er
sagt, 60 Pesos am Tag, das sind umgerechnet knapp 4 Euros. Davon müsse er
die ganze Familie ernähren: seine Frau, seine drei Kinder und seine
pflegebedürftige Mutter. Gleichwohl würde er mich gerne bei meinem nächsten
Besuch in Ixcatlán beherbergen.
Drei Fragen gehen mir durch den Kopf: Wie kann es sein, dass der Arme den
Reichen beschenkt? Was kann ich tun, um den Bewohnern dieses Dorfes zu
helfen? Und was braucht der Mensch eigentlich, um glücklich zu sein?
Da fällt mir eine Geschichte aus dem Allgäu ein: Der Prinzregent Luitpold
von Bayern hatte sich einst bei der Gemsjagd in den Bergen verirrt. Ein
Hirtenjunge fand den alten Mann völlig verzweifelt und erschöpft am
Wegesrand sitzen und zeigte ihm den Weg nach Hindelang. Der Prinzregent
wollte sich dafür mit einem Geldstück bedanken - aber der Junge lehnte ab. Da
fragte Luitpold, was er denn für seine Arbeit als Hirte bekomme. Da erklärte
der Junge: "S'Essen und s'Gewand". "So wenig!", sagte der Prinzregent
überrascht. Da fragte der Junge: "Hast Du vielleicht mehr?".
 
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