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Die Liste des BärenVon der Kunst zu leben Es geht das Gerücht um, der Bär habe eine Todesliste. Die Tiere des Waldes zittern vor Angst. Jeder fragt sich, ob es diese Liste wirklich gibt und wer darin verzeichnet sein könnte. Endlich fasst sich der Hirsch ein Herz, tritt vor den Bären und fragt: "Hast du eine Todesliste?". "Ja", antwortet der Bär. "Steht mein Name auf dieser Liste?", fragt der Hirsch. "Ja", antwortet der Bär. Entsetzt dreht sich der Hirsch um und springt eilends davon. Am nächsten Tag findet man den Hirsch tot im Hochwald. Die anderen Tiere sind erschüttert. Ihre Angst steigert sich von Tag zu Tag. Endlich, nach drei Tagen, nimmt der Keiler allen Mut zusammen, geht ebenfalls zum Bären und fragt diesen: "Steht mein Name auch auf deiner Liste?". "Ja", antwortet der Bär. Voller Schrecken dreht sich der Keiler um und sucht, so schnell er kann, das Weite. Am nächsten Tag findet man auch den Keiler tot im Unterholz. Da breitet sich Panik aus im Wald. Die Tiere sind wie gelähmt vor Angst. Nach drei weiteren Tagen rafft sich schließlich der Hase auf und erscheint vor dem Bären. "Stehe ich auch auf deiner Liste?", fragt der Hase. "Ja", antwortet der Bär und wendet sich ab. "Kannst du meinen Namen streichen?", fragt der Hase. Da dreht sich der Bär noch einmal um, runzelt die Stirn und schaut den Hasen prüfend an. Dann sagt der Bär: "Ja". Diese moderne Tierfabel macht mir Mut: Ich darf mich – wie der Hase – meines Lebens freuen und muss mich nicht von der Angst vor dem Tod bestimmen lassen. Das heißt konkret: Wenn ich meine Eltern besuche, gehe ich nicht davon aus, dieser Besuch könnte der letzte sein, sondern ich erwarte, dass sie noch lange leben werden. Wenn ich zur Vorsorge gehe, glaube ich nicht, dass der Arzt etwas finden könnte, sondern ich hoffe, dass ich weiterhin gesund bin und bleiben werde. Wenn ich ein Flugzeug besteige, rechne ich nicht damit, dass es abstürzen könnte, sondern ich genieße den Flug. Mein Lebensmotto lautet nicht "Memento mori", "Denke daran, dass du sterben musst!", sondern "Carpe diem", "Pflücke den Tag!". Dabei halte ich mich an die Bibel, die nicht von einer Todesliste spricht, sondern von einer Liste des Lebens: "Freuet euch", sagt Jesus einmal zu seinen Jüngern, "dass eure Namen im Himmel geschrieben sind".
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