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Eigentlich bin ich ganz andersDas Bildnis des Dorian Gray "Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu". Dieses Zitat stammt von dem österreichisch-ungarischen Schriftsteller Ödön von Horváth und beschreibt die Tragik eines Menschen, der ein Leben in der Schwebe zwischen Anspruch und Wirklichkeit führt: "Eigentlich rauche ich nicht". "Eigentlich trinke ich nicht". "Eigentlich bin ich ein treuer Ehemann und ein liebevoller Familienvater". "Eigentlich habe ich einen hohen Anspruch an mich selbst und viel Geduld mit den Schwächen anderer". Die Differenz zwischen dem Ist und dem Soll eines Menschen beschreibt auch der irische Schriftsteller Oscar Wilde in seinem einzigen Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" (1891). Oscar Wilde erzählt - nicht ohne autobiografischen Bezug - von einem jungen Mann namens Dorian Gray. Er ist reich und schön. Er kann sich alles leisten. Er wird von vielen Frauen umschwärmt und auch von manchen Männern. Aber er geht keine feste Beziehung ein. Denn er liebt - im Grunde seines Herzens - nur sich selbst. Darum lässt er sich von einem Künstler malen. Das Bild gelingt. Und als es fertig ist, verliebt sich Dorian Gray in sein eigenes Konterfei. Er nimmt das Bild mit nach Hause, verhüllt es mit einem Tuch und versteckt es in einer Kammer. Dann geht er wieder hinaus in die Welt und führt ein exzessives Leben, meist auf Kosten anderer Menschen. Zwischendurch kehrt er immer wieder nach Hause zurück und vergleicht das Gemälde mit seinem Spiegelbild. Dabei stellt er fest, dass er immer jung und schön bleibt, während das Porträt an seiner Stelle altert und seinen moralischen Verfall dokumentiert. Zuletzt ist das Gemälde so entstellt, dass Dorian Gray den Anblick nicht mehr ertragen kann. Er nimmt ein Messer und ersticht das Bild und mit dem Bild sich selbst. Als er gefunden wird, trägt er die Züge eines hässlichen alten Mannes. Aber sein Porträt erstrahlt in jugendlicher Schönheit. Genauso schonungslos wie sein Romanheld hat sich der Schriftsteller Oscar Wilde der eigenen Person gestellt. Das macht ihn - in meinen Augen - sympathisch. Mir sind die Menschen, die erkennbar mit ihren Brüchen leben, lieber als andere, deren Leben scheinbar immer geradlinig verläuft.
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