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Eine Prise SalzVom Wechsel der Perspektive Ein Sonntag im Advent. Ich habe Freunde zum Mittagessen eingeladen: Denen werde ich 'mal zeigen, wie ich kochen kann! Nur frische Zutaten, versteht sich. Das Basilikum wächst auf der Fensterbank. Die Muskatnuss verlangt nach einem Reibeisen. Eine Spitze Pfeffer, ein Schuss Rotwein, ein Schlag Sahne. Meine Frau deckt schon einmal den Tisch. Köstliche Düfte erfüllen die Küche. Ein letztes Abschmecken: Es fehlt
noch eine Prise Salz! Ich greife nach dem Streuer, merke aber nicht, dass
sich der Deckel gelöst hat. Zu meinem Entsetzen ergießt sich der gesamte
Inhalt in den Topf. Blitzschnell greife ich zu einem Löffel und versuche,
das Salz wieder herauszuschöpfen. Doch zu spät – es hat sich bereits
aufgelöst. Ich schütte kannenweise Milch und Wasser nach. Doch vergeblich,
die Mahlzeit bleibt hoffnungslos versalzen. Auf einmal spüre ich in mir eine tiefe Dankbarkeit. Ich bin dankbar für meine Frau, die mir jede Nacht die Decke wegzieht, weil es bedeutet, dass ich nicht allein bin. Ich bin dankbar für die Wohnung, die ich jede Woche putzen muss, weil es bedeutet, dass ich ein Zuhause habe. Ich bin dankbar für die Kleidung, die mir zu eng geworden ist, weil es bedeutet, dass ich genug zu essen habe. Ich bin dankbar für meine täglich überquellende Mailbox, weil es bedeutet, dass viele Menschen an mich denken. Ich bin dankbar für die Steuern, die ich zahlen muss, weil es bedeutet, dass ich eine Arbeit habe. Ich bin dankbar für das Geschrei der Nachbarkinder, weil es bedeutet, dass ich ein gutes Gehör habe. Ich bin dankbar für den Wecker, der mich jeden Morgen unsanft aus allen Träumen reißt, weil es bedeutet, dass ich noch am Leben bin.
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