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Die Predigt des EselsTräumereien im Café War es Traum oder Wirklichkeit, als ich neulich das Café Brückenbäck betrat? Ich setzte mich wie immer an einen kleinen Tisch am Fenster mit Blick auf die Alte Mainbrücke. Dann bestellte ich eine Latte Macchiato und einen Weizenbagel, wie man in Würzburg den heißkalten Milchkaffee und das Brötchen mit dem Loch nennt. Dann schlug ich die Main-Post auf und las im Lokalteil die neuesten Meldungen von der Schließung des Würzburger Theaters. Schließlich fiel mir ein, dass ich am Palmsonntag in meiner Kirche über den Einzug Jesu in Jerusalem predigen muss. "Die Predigt", dachte ich mir, "muss einen packenden Einstieg haben". Dabei schlief ich ein. Plötzlich rumpelt es hinter mir. Ich fahre aus meinem Schlaf hoch und drehe mich um. Dann sehe ich einen hölzernen Palmesel auf vier Rädern, der gerade im Eiltempo den Zeller Berg hinunterrollt. Ich kenne diesen Esel: Er steht normalerweise in der Echter-Bastei auf der Festung Marienberg. Früher sind gläubige Franken am Palmsonntag mit diesem Esel in ihre Stadt eingezogen, später haben ihn nur noch japanische Touristen im Museum bestaunt. Heute, am Palmsonntag des Jahres 2001, ist das Unfassliche geschehen: Der Esel hat sich selbst aus seiner Verankerung gelöst und rollt polternd in die Stadt hinunter. Auch das Hupen der Autos und die Schreie der Menschen können ihn nicht stoppen. Er rollt völlig unbeirrt über die Alte Mainbrücke, bis er schließlich vor dem Würzburger Rathaus zum Stehen kommt. Was will der Esel dem Oberbürgermeister und den Stadträten sagen? Seine Botschaft lautet: "Lasst mich im Mainfränkischen Museum stehen und stellt mich nicht in den Kulturspeicher! Erhaltet das Würzburger Theater in seiner bisherigen Form! Ich bin zwar kein Goldesel, aber ich bin mir sicher: Die Bürger der Stadt werden auch weiterhin für ihr Theater aufkommen! Denn sie leben nicht nur von geschäumter Milch und durchlöcherten Brötchen, sondern sie nähren sich auch von der Kunst und Kultur. Ihr Stadtväter von Würzburg, wenn Ihr schon nicht auf die Schauspieler und Musiker hört, dann vernehmt wenigstens die Stimme eines Esels".
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