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Das Loch im ZaunGnade vor Recht Es war einmal ein kleines Schaf, das lebte mit anderen Schafen auf einer Weide. Diese Weide war von einem hohen Zaun umgeben. Eines Tages entdeckte das Schaf in diesem Zaun ein Loch. Als es Nacht geworden war, zwängte sich das Schaf durch das Loch und lief in die große weite Welt hinein. Das Schaf freute sich an der neugewonnenen Freiheit. Doch plötzlich merkte es, dass es von einem Wolf verfolgt wurde. Das Schaf lief schneller, aber der Wolf ließ sich nicht abschütteln. Im Gegenteil: Der Wolf fasste zu. Doch das Schaf rettete sich mit einem Sprung - in die Arme des Hirten. Ganz behutsam trug der Hirte das Schaf zu seiner Herde zurück. Und obwohl ihn seine Freunde drängten, weigerte sich der Hirte, das Loch im Zaun zuzunageln. Es war einmal ein junger Mann, der konnte hervorragend Fußball spielen. Darum gehörte er zur Nationalmannschaft seines Landes. Die Mannschaft nahm an der Weltmeisterschaft teil und hatte ihr Quartier in einem Sporthotel bezogen. Am Abend vor einem wichtigen Spiel saß der junge Mann mit einigen Ersatzspielern in der Hotelbar. Er wollte eigentlich nur ein Mineralwasser trinken. Aber seine Kollegen ließen ihm ein Bier nach dem anderen vorsetzen. Dann nahmen sie ihn mit auf eine Tour durch die benachbarten Diskotheken. Und als er morgens um halb fünf wieder ins Hotel zurückkehrte, wartete der Trainer schon an der Rezeption. Der Trainer sagte kein Wort. Und obwohl die anderen Spieler ihn drängten, weigerte er sich, den Ausreißer aus der Mannschaft zu nehmen. Das "Loch im Zaun" ist für mich ein Bild. Ein Bild für die Freiheit, die jeder Mensch braucht, um Mensch sein zu können. Diese Freiheit ist keine Beliebigkeit. Jeder Mensch muss es lernen, die ihm gegebene Freiheit verantwortlich zu gestalten. Auf dem Weg zu dieser Eigenverantwortung macht er Fehler. Darum braucht er andere Menschen, die im Zweifelsfall "Gnade vor Recht" walten lassen.
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