Mit dem Herzen sehen

Das Geheimnis des Fuchses

"Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar". So lautet der wichtigste Satz des Märchens "Le Petit Prince" von Antoine de Saint-Exupéry, das vor genau 60 Jahren zum ersten Mal erschienen ist. Während in Europa noch der Krieg tobte, beschrieb der französische Schriftsteller und Pilot die Vision von einer schönen neuen Welt, die nur von Kindern jeden Alters verstanden werden kann.

Der Erzähler, ebenfalls ein Pilot, muss wegen eines technischen Defekts mit seinem Flugzeug in der Sahara notlanden. Dort trifft er den kleinen Prinzen, der von einem anderen Stern kommt und von seiner Reise durch das Universum berichtet. Der kleine Prinz erzählt zum Beispiel von einem König ohne Land, der befiehlt, was ohnehin geschieht. Von einem Säufer, der säuft, weil er sich schämt, dass er saufen muss. Und vom einem Händler, der Pillen gegen den Durst verkauft, weil man durch den Verzicht auf das Trinken 53 Minuten pro Woche spart.

Der kleine Prinz erkennt, dass es sich in einer rational bestimmten und zugleich verrückten Welt immer noch lohnt, sein Herz zu verschenken und Vertrauen zu wagen. Er gewinnt die Freundschaft eines Fuchses, der ihm beim Abschied sein größtes Geheimnis anvertraut: "On ne voit bien qu'avec le coeur. L'essentiel est invisible pour les yeux".

An dieses Geheimnis musste ich denken, als ich vor ein paar Tagen zum ersten Mal die Sahara besuchte. Ich sah, ebenfalls zum ersten Mal, die Luftspiegelungen, die als Fata Morgana bezeichnet werden und dem Auge des Betrachters eine Oase in der Wüste vorgaukeln. "Nicht alles, was wir sehen, ist wirklich da", erklärte der tunesische Reiseführer in gebrochenem Französisch. "Und nicht alles, was da ist, können wir sehen".


 

 

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