Nachgedacht

Neulich beim Einkaufen

Ein Besuch in der Neumünsterkirche

Es war neulich in der Würzburger Innenstadt: Ich kam gerade vom Mantelkauf in einem Würzburger Bekleidungshaus, das am Mantelsonntag nicht geöffnet hatte. Für den Weg von der Domstraße zum Kürschnerhof brauchte ich etwa 20 Minuten. Denn erstens drängten sich gerade sämtliche Bewohner von Stadt und Landkreis durch die Fußgängerzone und zweitens traf ich unterwegs noch fünf Gemeindeglieder, die mich nach dem Befinden meiner Frau und meiner nicht vorhandenen Kinder fragten. Als ich endlich die Haltestelle am Dom erreichte, hatte ich die Straßenbahn knapp verpasst. Da entschloss ich mich, einen kurzen Blick in die Neumünsterkirche zu werfen. Die Zeit, in der es evangelischen Pfarrern peinlich war, in einer katholischen Kirche gesehen zu werden, ist ja längst vorbei.

Ich gehe den barocken Treppenaufgang hinauf und greife nach der Türklinke, die sich etwa in Augenhöhe befindet. Dabei habe ich irgendwie das Gefühl: "Ich bin klein, die Kirche ist groß". Ich öffne die Tür und trete durch einen Windfang in den achteckigen Kuppelsaal, der die romanische Kirche seit der Barockzeit ergänzt. Was mich in diesem Moment berührt, ist jedoch nicht die Größe der Kirche oder ihre kunstgeschichtliche Bedeutung, sondern ihre Atmosphäre. Ich ahne etwas davon, was Kirche sein kann: Ein Raum, der himmlisch durchdrungen und zugleich irdisch zugänglich ist. Der Lärm von der Straße ist nur noch von ferne zu hören. Die Glocken des Doms läuten. Ich werde ganz ruhig.

Mein Blick fällt zunächst auf das langgezogene Kirchenschiff, dann auf die Madonna zur Rechten und schließlich auf das Kreuz zur Linken. Die Darstellung des Gekreuzigten übertrifft alles, was ich bisher gesehen habe: Jesus hat sich vom Kreuz losgerissen und scheint mich als Betrachter förmlich zu umarmen. Auf seinem Kopf trägt er noch die Dornenkrone, in seinen Händen stecken noch die Nägel. Aber durch seine liebevolle Geste überwindet Jesus den Schrecken des Leides und des Todes. Ach wenn sich die Kirche doch daran ein Beispiel nehmen würde! Die Menschen unserer Zeit brauchen menschliche Nähe, nicht liturgische Ferne. Sie brauchen barmherzige Weite, nicht dogmatische Enge.

Die katholische Kirche feiert am heutigen Sonntag das Christkönigsfest. Die evangelische Kirche gedenkt heute der Verstorbenen des vergangenen Kirchenjahres und tröstet noch einmal ihre Angehörigen. Das Kreuz in der Neumünsterkirche scheint beide Anlässe zu verbinden: Christus ist der König der Herzen, der den Tod überwindet und die Trauernden liebevoll umarmt.


 

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