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Predigt vor leeren BänkenEin Pfarrer wird Schriftsteller Rothberg bei Hermannstadt. Mitten in Rumänien. Ich fahre mit einer Pferdekutsche über die Dorfstraße, die - seit dem Besuch des ehemaligen deutschen Innenministers Otto Schily - geteert ist. Die Kutsche hält vor der Dorfkirche, die in einem verwilderten Garten zwischen uralten Bäumen steht. Ein schmaler Fußweg führt zu einer Steintreppe, die ins Innere der Kirche hinabführt. Unten wartet Eginald Schlattner, der pensionierte Pfarrer von Rothberg. Er erzählt mir - nicht ohne Bitterkeit - vom Exodus seiner Landsleute - in den 90er Jahren und dem damit verbundenen Ende einer mehr als 850-jährigen Kultur. "Die Siebenbürger Sachsen sind das einzige Volk, das sich freiwillig aus der Geschichte verabschiedet hat", sagt er. Eginald Schlattner hat sich nicht verabschiedet. Er ist geblieben. Auch im Ruhestand geht er jeden Sonntag zur Kirche. Er ist Mesner, Kantor und Pfarrer zugleich. Er zündet die Kerzen an, singt Lieder, spricht Gebete und hält sogar eine Predigt. Seit acht Jahren predigt er vor leeren Bänken. "Ich habe keine Angst vor der Zukunft", sagt Eginald Schlattner. "Ich habe Angst vor der Vergangenheit. Vor dem Aufstand der Bilder". Es sind mächtige Bilder, die ihn bedrängen. Im Jahr 1957 wurde er in Kronstadt von der Securitate verhaftet und dazu gezwungen, Verwandte und Freunde zu denunzieren. Sein eigener Bruder wanderte für mehrere Jahre ins Gefängnis. Diese Schuld lastet noch heute schwer auf ihm. Um die eigene Vergangenheit und die jüngste Geschichte seines Volkes aufzuarbeiten, hat er eine Romantrilogie geschrieben. Sein erstes Buch "Der geköpfte Hahn" (1998) beschreibt die Jugendjahre bis zum Kriegsende in Rumänien. Sein zweites Buch "Rote Handschuhe" (2001) erzählt vom Aufstieg der Kommunisten und den Repressionen der 50er Jahre. Sein drittes Buch "Das Klavier im Nebel" (2005) ist eine Liebeserklärung an das Land, in dem er noch immer lebt: Rumänien. Folgerichtig kümmert sich Eginald Schlattner heute um die Roma, die seinen Heimatort bevölkern, und besucht rumänische Frauen im Gefängnis von Aiud. "Man verlasse den Ort des Leidens nicht", sagt er, "sondern man wirke dahin, dass das Leiden den Ort verlässt".
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