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Der Traum von der FreiheitMit dem Schiff nach Amerika Ich war so ungefähr zwölf Jahre alt und hatte jede Menge Zoff mit meinen Eltern. Die waren mal wieder komplett ausgerastet, nur weil ich mit ner Fünf in Mathe nach Hause kam. Sie hatten mir sogar verboten, mit meinen Freunden ins Kino zu gehen. Da fasste ich den Entschluss, von Zuhause auszureißen. Ich stopfte meine Klamotten mit etwas Proviant in einen Rucksack. Dann zog ich meine roten Turnschuhe an und lief, so schnell ich konnte, zum Alten Kranen. Dort sprang ich, ohne dass es jemand bemerkte, auf einen Lastkahn, der mit einer Ladung Kies nach Holland fuhr. In Rotterdam versteckte ich mich in einem Container, der mit einer Fähre nach Southampton gebracht wurde. Dort ließ ich mich in einem Reisekoffer auf einen Ozeanriesen verladen, der schon bald in See stach. Als die Besatzung mich entdeckte, war es für eine Rückkehr schon zu spät. Mehr als zwei Wochen war ich auf dem Atlantik unterwegs. Zunächst schien die Sonne, und die See war ruhig. Aber dann zog über den Azoren ein Sturmtief auf. Die Wellen schlugen über Bord und überspülten das Deck. Doch ich stand am Bug des Schiffes und hielt mich mit letzter Kraft an der Reling fest. Darum war ich auch der erste, der den Eisberg bemerkte und konnte den Kapitän noch rechtzeitig warnen. Die anderen Passagiere waren dafür überaus dankbar. Und der Kapitän ehrte mich im Rahmen eines Dinners und verlieh mir das Blaue Band. Da dachte ich mal wieder an Zuhause und schrieb den folgenden Brief: "Liebe Eltern, ich bin nun bald in Amerika. Ihr werdet sehen, dass ich auch ohne Euch klarkomme. Aber keine Sorge: Ich verzeihe Euch alles, was Ihr mir angetan habt. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich später einmal besuchen". Endlich kam wieder Land in Sicht: Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich sah die Freiheitsstatue. Ja, noch mehr: Ich hörte sie sprechen. Ihre Stimme klang wie die meiner Mutter: "Niko, komm endlich raus aus der Wanne. Dein Papa will auch noch ins Bad. Leg das Schiffchen weg und trockne dich ab".
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