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Vom Duft des KaffeesGeborgen im Ritual "Ein Tag mit Herrn Jules". So heißt ein Roman der belgischen Kinderbuchautorin Diane Broeckhoven, der wohl eher für Erwachsene bestimmt ist. Dieser Roman erzählt von einer älteren Dame namens Alice, die an einem Wintermorgen vom Duft des Kaffees geweckt wird, den ihr Mann Jules – wie an jedem Morgen - zubereitet hat. Alice steht auf, sie hüllt sich in ihren Morgenmantel und betritt das Wohnzimmer. Dort sitzt Jules nicht - wie gewohnt - am Frühstückstisch, sondern auf einer Couch und starrt durchs Fenster. Sie spricht ihn an - doch er antwortet nicht. Sie setzt sich neben ihn und schüttelt ihn - doch er reagiert nicht. Erst allmählich erkennt Alice, dass ihr Mann nicht mehr lebt und dass sie jetzt allein ist. Doch diese Erkenntnis versetzt sie keineswegs in Panik. Sie ruft auch nicht den Arzt oder die Polizei. Sondern sie entschließt sich, noch einen letzten Tag mit ihrem Mann zu verbringen und seinen Tod solange zu verschweigen. Pünktlich um zehn erscheint David. Der autistische Nachbarsjunge will – wie an jedem Tag – mit Herrn Jules eine Partie Schach spielen. Alice schlüpft in die Rolle ihres Mannes, obwohl sie kaum einen Bauern von einem Läufer unterscheiden kann. Jules gewinnt. Plötzlich ruft Davids Mutter an und bittet Alice, den Jungen bis auf weiteres aufzunehmen, da ihre Mutter nach einem Sturz im Krankenhaus liege. Alice erzählt David von ihrer Ehe, in der Jules stets den Ton angab, und von ihrer Liebe, die sogar einen Seitensprung aushielt. Als sie am nächsten Morgen aufgewacht, ist der Junge schon in der Küche. Der Duft von frischem Kaffee zieht durch die Wohnung. Endlich kann Alice loslassen. Mich hat der Roman "Ein Tag mit Herrn Jules" tief berührt. Denn die Autorin erzählt nicht nur von der Liebe zweier Menschen, die miteinander alt geworden sind, sondern sie beschreibt zugleich die bergende Kraft gemeinsamer Rituale. In einem schwedischen Lied heißt es: "So leb denn wohl und Gott mit dir, du lieber Engel mein. Du gehst von mir nach all der Zeit, du lieber Engel mein. Ich danke dir für all das Glück, für jeden schönen Augenblick - auch für den letzten Tag".
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