Petrus

Petrus hatte unter den Jüngern eine besondere Stellung inne, aber er wurde von Jesus auch mehrmals schroff zurechtgewiesen. Er war der erste Bekenner, aber auch ein Verleugner Jesu Christi. Sein Leben und Wirken als Jünger, Apostel und Bischof war eine ständige Gratwanderung zwischen Schuld und Vergebung, Scheitern und Gelingen.

Petrus ist neben Paulus die wichtigste Gestalt der frühen Christenheit. Er wird von Jesus als einer der ersten Jünger berufen, er ist der erste männliche Zeuge der Auferstehung und der erste Deuter des Pfingstwunders. Er leitet mit dem Herrenbruder Jakobus die Urgemeinde in Jerusalem und gründet – nach Auskunft der Kirchenväter - die Gemeinden von Antiochia und Rom. Alle Kirchen außer den reformatorischen verehren Petrus als Heiligen und ersten Bischof von Rom. Die katholische Kirche begründet den Primat des Papstes mit dem Auftrag, den Jesus seinem Jünger Petrus gegeben hat.

Name und Herkunft

Petrus wird in allen Evangelien "Simon" genannt. Der griechische Name Simon geht auf den hebräischen Namen "Simeon" zurück. Simeon ist der zweite Sohn des Stammvaters Jakob und seiner ersten Frau Lea. Der Beiname Petrus, griechisch "der Fels", bezieht sich auf eine Verheißung Jesu: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen" (Mt 16,18). Während Jesus seinen Jünger Petrus überwiegend mit "Simon" anspricht, nennt Paulus seinen Mitapostel grundsätzlich "Kephas", hebräisch "der Fels" (Gal 1,18). Der Doppelname "Simon Petrus" findet erst durch die lateinische Bibelübersetzung Vulgata (um 385) allgemeine Verbreitung.

Simon wird um die Zeitenwende in Galiläa geboren und spricht den galiläischen Dialekt (Mk 14,70). Jesus nennt ihn einmal "Sohn des Jona" (Mt 16,17), ein andermal "Sohn des Johannes" (Joh 1,42) und unterscheidet damit offenbar zwischen seinem leiblichen Vater Jona und seinem geistlichen Vater Johannes dem Täufer. Simon stammt wie sein Bruder Andreas aus Bethsaida (Joh 1,44). Nicht klar ist, ob es bei Bethsaida nur um den Wohnort oder auch um den Geburtsort handelt. Klar ist nur, dass Simon und Andreas als Fischer am See Genezareth arbeiten und zum Umfeld des Täufers Johannes gehören. Nach Mk 1,16 trifft Jesus die beiden Brüder am Seeufer beim Auswerfen ihrer Fischernetze und ruft sie in die Nachfolge. Nach Joh 1,35-42 erkennt zunächst Andreas in Jesus den Messias und führt dann seinen Bruder Simon zu ihm.

Simon ist verheiratet, doch der Name seiner Frau wird nicht erwähnt. Nach Mk 1,29 hat Simon in Kapernaum ein Haus, das er zusammen mit seinem Bruder, seiner Frau und deren Mutter bewohnt. Nach Mk 1,31 heilt Jesus die Schwiegermutter des Simon, die anschließend ihm und seinen Jüngern dient. Während Simon Petrus seine Familie zunächst verlässt (Mk 10,28), wird er später auf seinen Reisen von seiner Frau "als Schwester" begleitet, wie Paulus – nicht ohne spöttischen Unterton - bemerkt (1 Kor 9,5).

Jesus und Petrus

Petrus hat im Kreis der Jünger eine hervorgehobene Stellung. In allen Namenlisten steht er an erster Stelle. Zugleich gehört er mit Jakobus und Johannes zum sog. Dreierkreis, der Jesus auf den Berg der Verklärung (Mk 9,2) und in den Garten Gethsemane (14,33) begleiten darf. Unklar bleibt das Verhältnis zwischen Petrus und dem Herrenbruder Jakobus, der offenbar auch eine zentrale Gestalt der Jerusalemer Urgemeinde gewesen ist (Gal 1,19).

Grundlegend für die Rolle des Petrus in der frühen Kirche ist ein doppeltes Bekenntnis: Petrus bekennt sich zu Jesus - und Jesus bekennt sich zu Petrus. Ausgangspunkt ist die Frage nach der Person Jesu, die Petrus stellvertretend für alle Jünger beantwortet: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16,16). Darauf erklärt Jesus: "Du bist Petrus - und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen" (16,18). Jesus stattet Petrus zugleich mit einer göttlichen Vollmacht aus: "Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben" (16,19).

Diese Vollmacht wird relativiert durch Aussagen, welche die menschliche Seite von Petrus betonen. Als Petrus nach der ersten Leidensankündigung versucht, Jesus von seinem Weg ans Kreuz abzuhalten, wird er von ihm schroff zurechtgewiesen: "Weiche von mir, Satan. Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist" (Mk 9,33). Petrus erscheint also einerseits als Pförtner des Himmels und andererseits als Einfallstor des Bösen. Nach dem Abendmahl sagt Jesus zu ihm: "Simon, Simon, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre" (Lk 22,31f).

Diese Ambivalenz setzt sich in der Passionsgeschichte fort. Petrus erscheint einerseits als mutiger Bekenner und andererseits als kläglicher Versager. Jesus sagt zum ihm: "Heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen" (Mk 14,30). Und Petrus antwortet ihm: "Auch wenn ich mit dir sterben müsste, würde ich dich nicht verleugnen" (14,31). Als Jesus mit dem Dreierkreis in den Garten Gethsemane geht und seine Jünger bittet, wach zu bleiben, schlafen sie alle drei auf der Stelle ein. Jesus weckt nur Petrus und fragt ihn "Simon, schläfst du? Kannst du nicht eine Stunde mit mir wachen?" (14,37). Bei der Verhaftung Jesu zieht Petrus das Schwert und schlägt dem Knecht des Hohepriesters das rechte Ohr ab (Joh 18,10). Jesus weist ihn zurecht mit den Worten: "Stecke dein Schwert an seinen Ort. Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen" (Mt 26,52). Und er korrigiert den Fehler des Petrus, indem er das Ohr des Knechtes wieder anheilt (Lk 22,51).

Das Versagen des Petrus gipfelt in seiner Verleugnung. Während sich Jesus vor dem Hohen Rat zu seinem Auftrag bekennt, wärmt sich Petrus an einem Feuer im Innenhof des Palastes. Dreimal wird er von einer Magd auf Jesus angesprochen. Und jedes Mal erklärt Petrus: "Ich kenne diesen Menschen nicht" (Mk 14,71). Daraufhin kräht der Hahn zweimal. Und Petrus geht hinaus und weint bitterlich. Die Aufarbeitung dieser Schuld erfolgt in einer Ostergeschichte (Joh 21,15-17). Da trifft Petrus den Auferstandenen am See Tiberias, wie der See Genezareth von den Römern genannt wird. Und Jesus fragt ihn dreimal: "Simon, hast du mich lieb?". Diese dreifache Frage entspricht der dreifachen Verleugnung. Möglicherweise spiegelt sich in dieser Geschichte ein Problem wider, das in der Urgemeinde diskutiert worden ist: ob Petrus trotz seiner Verleugnung noch Gemeindeleiter sein kann.

Zwischen Ostern und Pfingsten

Petrus ist der erste männliche Zeuge der Auferstehung. Paulus berichtet unter Betonung der Reihenfolge, "dass Christus auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen" (1 Kor 15,4f). Auch Lukas hebt Petrus als Auferstehungszeugen hervor: "Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen" (Lk 24,34). Und Johannes schildert einen Wettlauf zwischen Petrus und dem Jünger, "den Jesus liebhatte". Der Lieblingsjünger gewinnt diesen Wettlauf, aber er lässt Petrus beim Betreten des Grabes den Vortritt (Joh 20,1-10). Auch diese Ostergeschichte könnte ein Reflex sein auf Rangstreitigkeiten, die es möglicherweise in der Urgemeinde gegeben hat.

In der Pfingstgeschichte spielt Petrus ebenfalls eine zentrale Rolle. Er hält sich in Jerusalem mit den elf anderen Jüngern versteckt, bis der gesamte Jüngerkreis von der Kraft des Heiligen Geistes erfasst wird. Dann hält Petrus seine erste öffentliche Predigt, die in die Aussage mündet: "So wisse nun das ganze Haus Israel, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat" (Apg 2,36). Etwa 3.000 Menschen nehmen den neuen Glauben an und bleiben beständig "in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet" (2,42).

Aufgrund der Heilung eines Gelähmten (Apg 3) kommt Petrus erstmals in Konflikt mit den Glaubenswächtern. Er muss sich mit seinem Mitapostel Johannes vor dem Hohen Rat verantworten (Apg 4). Aber diesmal verleugnet er seinen Glauben nicht, sondern bekennt sich mutig zu Jesus: "In keinem anderen ist das Heil, ist auch kein andrer Name den Menschen unter dem Himmel gegeben, durch den wir sollen selig werden" (4,12). Im Namen Jesu kann Petrus Kranke heilen und Tote auferwecken (9,32-43). Später wird Petrus sogar verhaftet, aber durch einen Engel auf wunderbare Weise befreit (12,1-17).

Petrus und Paulus

Der Märtyrertod des Stephanus und die anschließende Verfolgung der Jerusalemer Gemeinde führen zu einer Ausbreitung des Evangeliums und damit auch zum Beginn der Heidenmission. Petrus hält zunächst noch an den jüdischen Speisetabus fest, doch aufgrund eines Traumes geht er die Tischgemeinschaft mit dem römischen Hauptmann Cornelius ein (Apg 10). Neben der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem bildet sich eine zweite Gemeinde, die überwiegend aus Heidenchristen besteht und im syrischen Antiochia beheimatet ist. In Antiochia, das heute zur Türkei gehört, werden die Jünger Jesu zum ersten Mal "Christen" genannt (11,26). In Antiochia kommt es auch zu einem folgenschweren Zwischenfall, den Paulus folgendermaßen darstellt: "Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, denn es war Grund zur Klage gegen ihn" (Gal 2,11). Der Sachverhalt: Petrus hat in Antiochia die Tischgemeinschaft mit Heidenchristen gepflegt. Dann sind Judenchristen, insbesondere die Anhänger des Herrenbruders Jakobus, aus Jerusalem gekommen. Aus Angst vor den Judenchristen hat Petrus die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen wieder aufgekündigt. Das Verhalten des Petrus, das Paulus für verlogen hält, zieht Kreise: "Und mit ihm heuchelten auch die anderen Juden, so dass selbst Barnabas verführt wurde, mit ihnen zu heucheln" (2,13). Dieser Konflikt wird vom Evangelisten Lukas verschwiegen. Stattdessen zeichnet Lukas ein harmonisches Bild von Petrus und Paulus, die beim Apostelkonzil in Jerusalem einträchtig für die Heidenmission eintreten (Apg 15).

Von Jerusalem nach Rom

Die Apostelgeschichte endet mit der Reise des Paulus nach Rom und seiner ungehinderten Missionstätigkeit in der antiken Metropole. Von einer Romreise des Petrus und dem gemeinsam erlittenen Märtyrertod ist jedoch nicht die Rede. Lediglich der Evangelist Johannes deutet das Schicksal an, das Petrus möglicherweise erlitten hat. Der Auferstandene sagt zu Petrus: "Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest. Wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde" (Joh 21,18f).

Der Kanon des Neuen Testaments enthält zwei Briefe, die dem Apostel Petrus zugeschrieben werden. Da diese Briefe jedoch die Zerstörung des jüdischen Tempels im Jahr 70 n. Chr. und Christenverfolgung unter dem römischen Kaiser Domitian (81-96) voraussetzen, können sie nicht von Petrus geschrieben worden sein. Sprache und Inhalt sprechen für eine Entstehung in den Jahren 100 bis 130. Daneben gibt es zahlreiche apokryphe Schriften, die sich ebenfalls mit Petrus befassen, aber nicht den Sprung in den neutestamentlichen Kanon geschafft haben. Dazu gehören das Petrusevangelium, die Petrusapokalypse und die Pseudo-Clementinen, die Clemens von Rom, einem Nachfolger des Petrus auf dem Stuhl des Bischofs von Rom zugeschrieben werden.

Die Kapelle "Domine Quo Vadis" an der Via Appia
Foto: Niko Natzschka
Die früheste Andeutung, dass Petrus gewaltsam ums Leben gekommen ist, findet sich im 1. Clemensbrief, der zwischen 90 und 100 in Rom entstanden ist und von der Christenverfolgung unter dem Kaiser Nero im Jahr 64 berichtet. Die apokryphen Petrusakten, die zwischen 180 und 190 entstanden sind, behaupten, dass Petrus auf eigenen Wunsch mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden sei, um nicht mit seinem Herrn Jesus gleichgesetzt zu werden. Der Kirchenvater Hieronymus berichtet in seiner Schrift "Über berühmte Männer" (um 405) vom gemeinsamen Märtyrertod der Apostel Petrus und Paulus unter Nero. Hieronymus behauptet, dass Petrus zuvor 25 Jahre lang Bischof der Gemeinde von Rom gewesen sei, was zwar den Primat des Papstes stützt, aber der neutestamentlichen Chronologie widerspricht.

Aus den Petrusakten geht außerdem hervor, dass Petrus vor Nero aus der Stadt Rom geflohen ist. Auf der Via Appia, die nach Süden führt, begegnet er dem Auferstandenen, den er auf Lateinisch fragt: "Quo vadis, Domine?", auf Deutsch "Wohin gehst du, Herr?". Christus antwortet: "Venio Romam iterum crucifigi", "nach Rom, um mich abermals kreuzigen zu lassen". Daraufhin kehrt Petrus nach Rom zurück, um dort den Märtyrertod zu sterben. Um diese Legende rankt sich der Roman "Quo Vadis" (1895) des polnischen Schriftsteller Henryk Sienkiewicz, der 1951 mit Robert Taylor und Deborah Kerr in den Hauptrollen verfilmt worden ist. An die legendäre Begegnung von Petrus und Christus erinnert auch die kleine Kirche "Domine Quo Vadis", die sich noch heute an der alten Via Appia in Rom befindet und neben einem angeblichen Fußabdruck Christi eine Büste von Sienkiewicz berherbergt.

 
Der Petersplatz in Rom mit Petersdom und Obelisk
Foto: Niko Natzschka
So ungewiss wie der Märtyrertod des Petrus ist auch seine Grabstätte. Etwa seit dem Jahr 200 wird auf dem vatikanischen Hügel ein Petrusgrab verehrt, das Kaiser Konstantin der Große in den Jahren 315 bis 349 mit einer Petersbasilika überbauen lässt. Diese Basilika lässt Papst Julius II. im Jahr 1507 abreißen und durch den Bau des Petersdomes ersetzen. Der Altar des Petersdomes steht noch heute genau über dem vermuteten Petrusgrab.

Der Primat des Papstes

Die Primatsidee ergibt sich nicht zwangsläufig aus dem biblischen Befund, sondern sie ist das Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses, der die Strukturen des römischen Staates auf die katholische Kirche überträgt. Dieser Prozess kommt erst mit Papst Leo I. (440-461), meist "Leo der Große" genannt, zu einem vorläufigen Abschluss. Leo hält sich nicht nur für den Stellvertreter Christi (vicarius Iesu Christi), sondern auch für den legitimen Nachfolger des Petrus (successor Petri) und für den Herrn über alle anderen Bischöfe (princeps apostolorum). Während das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) den Primat des Papstes durch das Unfehlbarkeitsdogma noch verstärkt, betont das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) eher die Kollegialität aller Bischöfe. Bei der Eröffnung des 2. Vatikanums sagt Papst Johannes XXIII., vormals Guiseppe Roncalli, zu den versammelten Kardinälen: "Ich bin Guiseppe, euer Bruder" (Gen 45,4).

Niko Natzschka

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