Der Sprung in der Schüssel

Von der Stärke der Schwachen

Ein Märchen aus China. Es war einmal eine alte Frau, die hatte zwei Tonschüsseln. Diese Schüsseln hingen in zwei Bastkörben an den Enden einer Holzstange. Jeden Morgen nahm die Frau die Stange auf ihre Schultern und machte sich damit auf den weiten Weg zu einem Fluss. Dort füllte sie die beiden Schüsseln mit Wasser und ging mit dieser schweren Last wieder nach Hause.

Das Problem war nur: Während die rechte Schüssel makellos war, hatte die linke einen Sprung. So kam es, dass die linke Schüssel auf dem Weg stets die Hälfte ihres Inhalts verlor. Noch dazu neigte sich die Stange gegen Ende des Weges immer mehr nach rechts.

Die rechte Schüssel war natürlich stolz auf ihre Leistung und rühmte sich ihrer unversehrten Gestalt. Die linke Schüssel dagegen schämte sich wegen ihres Sprungs und war betrübt darüber, dass sie der alten Frau soviel Schaden zufügte.

Nach einem halben Jahr, das ihr wie eine Ewigkeit vorkam, sprach die linke Schüssel zu der Frau: "Ich schäme mich, weil ich jedes Mal die Hälfte des Wassers verliere und noch dazu dich aus dem Gleichgewicht bringe. Bitte wirf mich weg und kauf dir eine neue Schüssel".

Da lächelte die Frau und sprach: "Das werde ich nicht tun. Denn in meinen Augen bist du durch nichts zu ersetzen. Ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen, dass nur auf der linken Seite des Weges die Blumen blühen? Auf der rechten Seite dagegen blüht nichts!".

Die Rede vom "Sprung in der Schüssel" steht im Deutschen für einen Menschen, der irgendein Defizit hat: eine körperliche Einschränkung, ein auffälliges Verhalten oder eine seelische Krankheit. Die Bibel spricht davon, dass Gott eine ausgesprochene Vorliebe für die Menschen hat, die nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechen.

So sagt der Prophet Jesaja: "Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen. Und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen". Im Umkehrschluss könnte das heißen: "Aber das gerade Rohr, das wird er zerbrechen. Und die brennende Flamme, die wird er auslöschen".

Denn Gott kann offensichtlich nichts anfangen mit Menschen, die von sich selbst überzeugt sind und nur auf ihre eigene Kraft vertrauen. Die wird er knicken. Ein altes jüdisches Sprichwort sagt: "Der Mensch fällt nicht, weil er schwach ist, sondern weil er glaubt, stark zu sein".


 

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