Ehe es zu spät ist

Die vereitelte Scheidung

"Lieber Thomas, willst du diese Frau, Sabine, die Gott dir anvertraut hat, als deine Ehefrau achten und lieben an guten und an schweren Tagen, bis dass der Tod euch scheidet, so antworte: Ja, mit Gottes Hilfe". Diese Frage werde ich an einem Samstag im Mai in der Hofkirche der Residenz einem Bräutigam stellen - und er wird hoffentlich darauf antworten: "Ja, mit Gottes Hilfe".

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dieses Ja, das einmal in der Kirche gesprochen wird, im Laufe eines Lebens ständig wiederholt werden muss. Darum biete ich allen Brautpaaren, die ich getraut habe, meine Begleitung an. Sie können sich an mich wenden, wenn in ihrer Ehe Probleme auftreten. Ich berate sie gerne, "ehe es zu spät ist". Manchmal erzähle ich am Ende eines Gespräches die folgende jüdische Geschichte.

Ein junges Ehepaar wurde von einem Rabbi getraut und feierte ein großes schönes Hochzeitsfest. Das Paar wartete viele Jahre auf Kinder - doch vergeblich. Die Liebe der Frau war davon nicht beeinträchtigt, aber der Mann beschloss eines Tages, die Scheidung einzureichen. Er ging wieder zum Rabbi und bat um Erlaubnis. Der Rabbi überlegte einen Moment und sagte dann zu dem Mann: "Du darfst dich von deiner Frau trennen. Aber du musst vorher ein Fest mit ihr feiern - so groß und so schön wie damals eure Hochzeit". Der Mann sah ihn überrascht an, doch der Rabbi sagte bedauernd: "So schreibt es unser Gesetz vor".

Da lud der Mann alle Verwandten und Bekannten ein und feierte mit seiner Frau ein Scheidungsfest. Am Abend, als er schon ein wenig betrunken war, sagte er zu seiner Frau: "Das Haus gehört zwar mir. Aber du darfst dir aus diesem Haus mitnehmen, was dir am besten gefällt". Als der Mann am nächsten Morgen aufwachte, da traute er seinen Augen nicht. Denn er lag nicht in seinem Bett, sondern auf einer blühenden Wiese. "Wo bin ich?", fragte er sich laut. "Du bist immer noch bei mir", sagte seine Frau, die zu seinen Füßen saß. "Ich bin zwar gestern ausgezogen, aber ich habe mitgenommen, was mir am besten gefällt". Da schloss der Mann seine Frau in die Arme, fing an zu weinen und bat um Verzeihung. Nach genau neun Monaten bekamen die beiden ihr erstes Kind.


 

 

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