Engel

Der Begriff "Engel" kommt von dem griechischen Wort "ángelos" und bedeutet "Bote" oder "Botschafter". Der Engel ist – nach jüdischer und christlicher Vorstellung - ein himmlisches Wesen, das Gott zur Seite steht, von ihm jedoch streng zu unterscheiden ist. Der Engel ist zugleich ein Mittler zwischen Gott und Mensch, er kann sogar eine menschliche Gestalt annehmen, aber er geht nie in ihm auf.

Engel im Alten Testament

Die ersten Engel in der Bibel sind die Cherubim, die mit einem Flammenschwert vor dem Garten Eden stehen, um die Rückkehr des gefallenen Menschen ins Paradies zu verhindern (Genesis 3,24). Dann erscheint Gott dem Stammvater Abraham in Gestalt von drei Männern, die ihn im Hain Mamre besuchen und ihm die Geburt eines Sohnes ankündigen (18,10). Als Abraham diesen Sohn auf dem Berg Morija opfern will, weil er glaubt, Gott damit einen Gefallen zu tun, fällt ihm ein Engel in dem Arm und rettet so das Lebens Isaaks (22,11). Als Isaaks Sohn Jakob vor seinem Bruder Esau nach Haran flieht, träumt er unterwegs von einer Himmelsleiter, an der Engel auf- und absteigen (28,12). Und als er wieder zu seinem Bruder zurückkehrt, muss er in der Nacht vor der Versöhnung am Fluss Jabbok mit einem unbekannten Mann kämpfen (32,25).

Die Grenzen zwischen Gott und seinen Engeln sind fließend. So erscheint Mose im brennenden Dornbusch ein Engel (Exodus 3,2), doch das anschließende Gespräch führt Gott allein – und der Engel wird mit keinem weiteren Wort erwähnt.

Als der Prophet Elia auf seiner Flucht vor der Königin Isebel unter einem Wacholder schläft, wird er von einem Engel geweckt, der ihm Brot und Wasser reicht und zu ihm sagt: "Steh auf und iss, denn du hast einen weiten Weg vor dir"(1. Könige 19,7).

Im Buch Hiob erscheint der Satan als Teil eines himmlischen Hofstaates, der sich um den Thron Gottes versammelt (1,6). Nicht Gott selbst ist es, der seinen Knecht Hiob auf die Probe stellt, sondern der Satan tut es – und Gott lässt es zu, jedenfalls für eine gewisse Zeit.

Dem steht die Überzeugung gegenüber, dass Gott den, der auf ihn vertraut, vor allem Unheil bewahren wird: "Denn er hat seinen Engel befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen" (Psalm 91,11).

Der Prophet Jesaja sieht bei seiner Berufung Gott auf seinem Thron sitzen. Über ihm schweben zahlreiche Engel, die als "Serafim" bezeichnet werden. Diese Engel singen das dreifache "Sanctus" und preisen Gott als "Herrn Zebaoth", d.h. auf Hebräisch "Herrn der Heerscharen" (Jesaja 6,3).

Tobias und der Engel

Die Vorstellung vom Schutzengel geht zurück auf das Buch Tobit. Diese um das Jahr 200 v.Chr. entstandene lehrhafte Novelle gehört zu den sog. apokryphen Schriften des Alten Testaments, die – wie Martin Luther betont – "der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, aber doch nützlich und gut zu lesen" sind.

In diesem Buch erzählt der Jude Tobit, der in Ninive im Exil lebt, in Ich-Form seine wechselvolle Lebensgeschichte. Er hat nach den Geboten Gottes gelebt, sich für seine Volksgenossen eingesetzt, ist von Machthabern Ninives verfolgt worden und deswegen erblindet. Darum schickt er seinen Sohn Tobias mit einem Mann namens Raphael, der sich als Begleiter anbietet, in das Land Medien, wo er früher einmal Geld hinterlegt hat. In der Stadt Ekbatana trifft Tobias die verzweifelte Witwe Sara, die sich das Leben nehmen will. Er tröstet sie, heiratet sie und kehrt mit ihr, dem Geld und einem Heilmittel zu seinem Vater Tobit zurück. Der Vater gewinnt mit dem Heilmittel sein Augenlicht zurück und feiert sieben Tage lang mit Tobias und Sara die Heilung und die Hochzeit. Als er Raphael die Hälfte des überbrachten Geldes geben will, offenbart der Engel seine Herkunft und kehrt in den Himmel zurück. Daraufhin stimmt Tobit ein Loblied auf die Barmherzigkeit Gottes an.

Engel im Neuen Testament

Auch im Neuen Testament spielen die Engel eine große Rolle, z.B. in der Kindheitsgeschichte Jesu. Der Engel Gabriel erscheint der Jungfrau Maria und kündigt ihr die Geburt eines Sohnes an (Lukas 1,31). Ein Engel erscheint Josef im Traum und bewegt ihn dazu, bei seiner schwangeren Verlobten zu bleiben, obwohl er weiß, dass er nicht der Vater des ungeborenen Kindes ist (Matthäus 1,20). Ein Engel verkündigt den Hirten von Bethlehem die Geburt des Heilandes. Und die Menge der himmlischen Heerscharen singt das "Gloria in excelsis Deo".

Ein Engel warnt Josef im Traum vor Herodes und bewegt ihn dazu, mit Maria und dem Kind nach Ägypten zu fliehen (2,13). Und als die Gefahr vorüber ist, bewegt ein Engel die heilige Familie zur Rückkehr nach Israel (2,19).

Die Engel dienen Jesus nach seiner Versuchung (4,11) - und sie sind auch die Boten seiner Auferstehung (Lukas 24,4). In der Offenbarung des Johannes kündigen die sieben Engel mit Posaunen (8,6) das Ende der alten Welt und den Beginn einen neuen Welt an, in der Gott alles zum Guten wenden wird (21,4).

Aus diesem biblischen Befund hat sich im Laufe der Kirchengeschichte eine regelrechte Angelogie, d.h. eine Engellehre, gebildet. Diese Lehre geht davon aus, dass jeder Engel einen Namen hat und Teil einer himmlischen Hierarchie, d.h. einer Rangordnung, ist. Dabei treten vor allem die vier Erzengel hervor: Michael – d.h. auf Hebräisch "Wer ist wie Gott?", Gabriel - "Gott ist meine Stärke", Raphael - "Gott hat geheilt" und Uriel – "Gott ist mein Licht".

Engel in der Kunst
 
Vor dem Altar der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Rüdenhausen schwebt seit der Barockzeit ein Taufengel
Foto: Niko Natzschka

Nach dem Erzengel Raphael ist auch der italienische Maler Raffaelo Santi (1483-1520) benannt, der mit der "Sixtinischen Madonna" eines der wichtigsten Gemälde der Renaissance geschaffen hat. Dieses Gemälde ist in den Jahren 1512 und 1513 im Auftrag von Papst Julius II. entstanden. Raphael hat es für den Hochalter der Klosterkirche San Sisto in Piacenza gemalt. Heute ist die "Sixtinische Madonna" in der Galerie "Alte Meister" in Dresden zu sehen. Noch viel bekannter als die Madonna selbst sind jedoch die beiden kleinen Engel, die sich am unteren Rand des Gemäldes befinden und neugierig, ja beinahe schelmisch, nach oben blicken. Diese Engel erscheinen inzwischen als eigenständiges Motiv auf ungezählten Postkarten, Sammeltassen und T-Shirts.

Viel unbekannter, aber nicht weniger originell ist die Darstellung eines Schutzengels, der sich in der evangelischen Pfarrkirche St. Peter und Paul in Rüdenhausen im Dekanat Castell befindet. Diese Kirche ist in den Jahren 1708 bis 1712 im Auftrag des Grafen Johann Friedrich zu Castell-Rüdenhausen (1675-1749) gebaut worden. Seiner aus Holstein stammenden Frau, der Gräfin Catharina Hedwig von Rantzau-Breitenburg (1683-1743) ist es zu verdanken, dass im Chorraum einen barocker Taufengel schwebt, der bei Bedarf heruntergelassen kann. Dieser Engel trägt in seinen Händen einen Lorbeerkranz, in den bei jeder Taufe eine Wasserschale gelegt wird.

Engel in der Musik

Nicht nur die Kunst, sondern auch die Musik hat dazu beigetragen, die Vorstellung von einem Schutzengel populär zu machen. Dabei ist vor allem die spätromantische Oper "Hänsel und Gretel" zu nennen, die am 23. Dezember 1893 in Weimar uraufgeführt worden ist. Die Musik zu dieser Oper stammt von Engelbert Humperdinck (1854-1921), das Libretto, also der Text, von seiner Schwester Adelheid Wette (1858-1916), die ihrerseits das Märchen "Hänsel und Gretel" der Gebrüder Grimm als Vorlage verwendet hat.

Im zweiten Akt gehen die Kinder im Auftrag der Mutter in den Wald, um Beeren zu suchen. Sie folgen dem Ruf des Kuckucks. Dabei verirren sie sich. Und weil sie Hunger haben, essen sie die Beeren selbst. Es wird dunkel. Nebel steigen auf. Die Kinder haben Angst. Sie lassen sich mitten im Wald auf einer Lichtung nieder und betten sich auf Mooskissen. Dann beten bzw. singen sie ihren Abendsegen: "Abends, wenn ich schlafen geh', vierzehn Englein bei mir stehn: zwei zu meiner Rechten, zwei zu meiner Linken, zwei zu meinen Häupten, zwei zu meinen Füßen, zwei, die mich decken, zwei, die mich wecken, zwei, die mich weisen zu himmlischen Paradeisen." Und schließlich steigen Engel vom Himmel herab und bewachen die Kinder im Schlaf.

"Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein" (Rudolf Otto Wiemer)
Foto: Niko Natzschka
Menschen als Engel

Nicht ganz so idyllisch wie diese Szene erscheint das Leben der schwedischen Krankenschwester Elsa Brändström (1888-1948), die "Der Engel von Sibirien" genannt wird. Die Tochter eines schwedischen Diplomaten reist im Jahr 1915 im Auftrag des Roten Kreuzes nach Sibirien, um deutsche Kriegsgefangene zu versorgen. Nach der Oktoberrevolution wird ihr die Arbeitserlaubnis entzogen. Sie arbeitet jedoch weiter, wird in Omsk verhaftet und nach Schweden abgeschoben. Daraufhin geht sie nach Deutschland und eröffnet in der Uckermark ein Heim für Kriegswaisen. Nach ihrer Eheschließung mit dem Pädagogik-Professor Robert Ulich zieht sie nach Dresden, bekommt dort im Jahr 1932 – also mit fast 44 Jahren - ihre erste und einzige Tochter Brita. Ein Jahr später emigriert die Familie in die USA, Robert Ulich erhält einen Lehrstuhl an der Harvard University - und Elsa Brändström eröffnet in Cambridge, einem Vorort von Boston, ein Restaurant zur Beschäftigung deutscher Immigranten. Nach dem Krieg wirkt sie noch an der Gründung von Care International mit, einer Organisation, die Menschen im zerstörten Deutschland mit Päckchen versorgt.

Engel als Menschen

Eine moderne Interpretation des Themas "Engel" findet sich in dem 1987 entstanden Film "Der Himmel über Berlin" des deutschen Regisseurs Wim Wenders.

Die Engel Damiel und Cassiel treten als Beobachter der Welt, insbesondere der noch geteilten Stadt Berlin auf. Sie können nicht in das Leben der Menschen eingreifen, dürfen ihnen jedoch Mut und Zuversicht vermitteln. Der Wunsch, am Leben der Sterblichen teilzuhaben, ist bei Damiel so groß, dass er bereit ist, dafür auf seine Unsterblichkeit zu verzichten. Mit einer antiken Ritterrüstung bekleidet wird er in die Welt geworfen. In einer Trapezkünstlerin, die sich scheinbar von der Schwerkraft löst, findet er sein Pendant. Ein Engel wird Mensch – und ein Mensch wird Engel.

Die gleiche Idee liegt dem US-amerikanischen Film "Stadt der Engel" zugrunde, der im Jahr 1998 unter der Regie von Brad Silberling entstanden ist. Die Herzchirurgin Maggie Rice muss miterleben, wie ein Patient unter ihren Händen auf dem Operationstisch stirbt. Der Engel Seth, der dazu beauftragt ist, die Seele des Verstorbenen abzuholen, ist von ihrer Verzweiflung berührt. Er beschließt, ein Mensch zu werden, um an ihrem Leben Anteil zu nehmen. Dazu muss er sich von einem Hochhaus stürzen. Dann macht er sich auf die Suche nach Maggie. Er findet sie jedoch nicht im Krankenhaus, denn sie ist aufs Land gefahren. Per Anhalter fährt er ihr nach. Maggie und Seth finden sich, sie lieben sich und sind glücklich - aber nur für eine Nacht. Als Maggie am nächsten Morgen voller Freude mit dem Fahrrad losfährt, verunglückt sie tödlich. Und Seth muss unter Schmerzen lernen, was es heißt, ein Mensch zu sein.

Niko Natzschka

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