Licht im Koffer

Die Predigt des Clowns

Das große Zirkuszelt ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Zuschauer warten gespannt auf den Beginn des Programms. Die Manege ist noch ganz dunkel. Doch plötzlich leuchtet ein Scheinwerfer auf und wirft einen hellen Lichtkegel in das Rund. Oleg Popow, der russische Clown, tritt aus dem Dunkel. Er hat einen kleinen Koffer in der Hand und watschelt auf den Kegel zu. Kaum hat er ihn erreicht, lässt er sich auf dem Boden nieder und räkelt sich wohlig im Licht. Doch der Kegel wandert weiter. Und der Clown läuft ihm nach. Jedoch ohne Erfolg. Immer wieder sitzt er im Dunkel.

Schließlich versucht der Clown, das Licht - einem Schildbürger gleich - mit seinem Koffer einzufangen. Offenbar gelingt es ihm, denn mit einem Mal ist die Manege wieder dunkel. Es folgen einige bange Augenblicke des Wartens. Doch dann öffnet er seinen Koffer und schüttet das Licht mit weiten Bewegungen in das Publikum hinein. Es wird taghell unter dem Zirkusdach. Die Zuschauer, die den Clown gespannt beobachtet haben, atmen hörbar auf und klatschen begeistert Beifall. Eine seltsame Mischung von Heiterkeit und Nachdenklichkeit hat sie erfasst. Damit beginnt das Programm des Abends.

Oleg Popow wurde am 31. Juli 1930 in Moskau geboren und lebt seit etwa 10 Jahren im fränkischen Egloffstein. Sein Outfit ist unverwechselbar: Eine knallrote Knollennase im Gesicht, auf dem Kopf eine karierte Ballonmütze, unter der eine strohblonde Perücke hervorschaut. Samtsakko, die gestreifte Hose ein bisschen kurz und die Schuhe viel zu groß. Oleg Popow ist für mich der Clown schlechthin. Jeder seiner Auftritte gleicht einer Predigt, aber ohne erhobenen Zeigefinger.

Am Ende des Abends watschelt der Clown noch einmal durch die Manege. Er begegnet einer schönen Frau, die ihn sichtlich in Entzücken versetzt. Strahlend schenkt er ihr ein Herz, ein rotes. Doch ach, sie verschmäht es und wirft es achtlos in eine Mülltonne. Todtraurig holt der Clown es wieder heraus und läuft ins Dunkel hinein. Doch plötzlich kommt ein kleines Kind herbeigesprungen und nimmt ihn tröstend an der Hand. Und siehe da, das Herz leuchtet auf, beginnt blinkend zu schlagen. Scheinwerfer aus. Beifall.


 

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